Drei Geldsystem-Debatten
Folgende Debatten habe ich kürzlich im entsprechenden Portal der Partei des Fortschritts veröffentlicht.
Sollte Vollgeld eingeführt werden?
Zunächst betrachten wir das derzeitige Geldsystem: Einerseits gibt es das Bargeld, das nur die Zentralbank (also die Deutsche Bundesbank) drucken bzw. prägen darf. Wenn dann eine normale Geschäftsbank (bspw. meine lokale Volksbank) mir über einen Geldautomaten Bargeld aushändigen will, muss sie dieses Bargeld zuvor bei der Bundesbank bestellen.
Anders sieht es bei dem sogenannten Buchgeld aus: Angenommen, ich möchte einen Kredit von meiner Bank haben. Dann würde man denken, meine lokale Geschäftsbank hat sich vorher Geld von der Zentralbank geliehen und gibt dieses dann an mich weiter. Aber so ist es nicht. Stattdessen erhöht meine Bank einfach nur die Zahl auf meinem Konto. Effektiv können derzeit reguläre Geschäftsbanken also einfach neues Geld erschaffen und müssen nur einen Bruchteil tatsächlich bei der Zentralbank vorhalten. Dadurch wird die Geldmenge künstlich aufgebläht. Dies nennt sich Mindestreserve-System.
Im Vollreserve-System (auch Vollgeld-System) können Banken Kredite hingegen nur in der Höhe von Kundeneinlagen plus Zentralbankgeld vergeben. Dabei ist das Zentralbankgeld das Geld, das sich die Geschäftsbanken von der Zentralbank leihen.
Diverse moderne Phänomene sind direkt auf den Mangel eines Vollgeld-Systems zurückzuführen, unter anderem:
wachsende Vermögensungleichheit
Mietpreisexplosion
Dauerhafte Staatsverschuldung
Bankenrettungen
Strukturelle Unterversorgung öffentlicher Güter
Selbstverständlich haben die Geschäftsbanken (und damit auch assoziierte Institutionen und Parteifunktionäre) keinerlei Interesse daran, diese Transformation zu erwirken, denn warum sollten sie sich selbst die "Lizenz zum Gelddrucken" nehmen lassen?
Für mehr Details, siehe insbesondere dieser ChatGPT-Verlauf (wichtig: zunächst ganz nach oben scrollen!) sowie folgende Ressourcen:
Monetative e.V.: https://monetative.de/faq-vollgeldreform/
"Gastvortrag Professor Joseph Huber über Vollgeld":
und sein zugrunde liegendes Buch zu Vollgeld: https://www.duncker-humblot.de/buch/vollgeld-9783428095261/?page_id=1
ein Erklärvideo der Vollgeld-Initiative in der Schweiz von 2018:
der Report "A Better Monetary System for Iceland", der 2015, nach der großen Bankenkrise in Island erstellt wurde: https://www.government.is/media/forsaetisraduneyti-media/media/Skyrslur/monetary-reform.pdf
das Paper "Modern Sovereign Money—Part I: The Moral Hazard of Fractional Reserve Banking": https://www.scirp.org/pdf/JSS_2018090414545680.pdf
Zunächst ist zu beachten, dass sich (zumindest meinen Recherchen nach) aus offensichtlichen Gründen noch keine deutsche Partei jemals an das Thema Vollgeld gewagt hat.
Grundsätzlich bin ich also einfach zunächst an einer Debatte dazu interessiert – gibt es hier Rückhalt für dieses Thema?
Sollten Konten und Depots öffentliche Infrastruktur werden?
Derzeit ist es ja so, dass Geschäftsbanken mein Geld halten. Das heißt, technisch gesehen ist mein Kontostand in einem gemeinhin völlig veralteten Kernbankensystem gespeichert, zum Beispiel Avaloq, Temenos, agree21 (entwickelt von Fiducia & GAD, dem IT-Dienstleister der Volksbanken), OSPlus (entwickelt von Finanz Informatik, dem IT-Dienstleister der Sparkassen), Mambu (u.a. genutzt von N26), OBS (genutzt von vielen Privatbanken) und viele mehr.
Aus eigener Erfahrung als IT-Unternehmer, der Lösungen zur Rückforderung ausländischer Quellensteuer schon bei vielerlei Banken integriert hat, kann ich sagen: Wenn man auch nur mittelbar mit solchen Systemen gearbeitet hat, merkt man, dass es kein Wunder ist, dass auch in 2025 Überweisungen manchmal noch mehrere Tage dauern. Diese Systeme sind unglaublich schwerfällig und uneinheitlich.
Zudem wird dadurch Geld "eingesperrt" in den Systemen dieser Banken, wodurch der für eine reibungslose Wirtschaft nötige Geldfluss erheblich erschwert wird und Innovationen praktisch komplett verhindert werden. Effektiv heißt das, dass das Online-Banking praktisch aller Banken langsam, umständlich und wenig nutzerfreundlich ist und sich daran auch nichts ändern wird da, ebenfalls meiner Erfahrung nach, die IT-Abteilungen von Großbanken völlig dysfunktional sind. Auch Neobanken und -broker lösen dieses Problem nicht im Kern, beispielsweise basiert Scalable Capital lediglich auf der Infrastruktur der Baader Bank. Dann gibt es noch Standards wie die Zahlungsdiensterichtlinie PSD2, die ursprünglich das sogenannte "Open Banking" fördern sollte, aber effektiv heute nicht sinnvoll verwendbar ist, aufgrund von vielerlei technischer Limitationen, die die Banken – oh Wunder – natürlich mit Absicht erwirkt haben, um weiter die maximale Kontrolle über das Geld ihrer Kunden ausüben zu können. Auch das neue Open Finance Framework der EU wird, zumindest meiner Einschätzung nach, aus dem selben Grund scheitern.
Gleichzeitig fördert diese Situation Firmen, die von diesem Wildwuchs profitieren, bspw. finAPI (die intern auch nur FinTS bzw. HBCI oder Scraper verwenden), wealthAPI oder tatsächlich auch mein eigenes FinTech Divizend, wo wir seit Jahren daran arbeiten, den Import von Wertpapierdepots zu vereinheitlichen. Genau deswegen weiß ich über diese ganzen Sachen ja auch so gut bescheid.
Aber was wäre, wenn das alles demokratisiert werden würde?
Angenommen, der freie, open source-basierte Zugang zum eigenen Geld und zu den eigenen Wertpapier-Holdings würde zum Standard werden. Man könnte dann seine Bank ähnlich einfach wechseln wie seinen Mobilfunkanbieter – inklusive Kontonummermitnahme. Die Grundlage wäre dabei eine dezentrale Infrastruktur, basierend auf der European Blockchain Services Infrastructure, also nicht ein zentraler Server, sondern verteilte, stets verschlüsselte und damit maximal resiliente Infrastruktur. Die Banken hätten dann nicht mehr das Monopol auf die Geld- oder Depothaltung, sondern würden nur noch zusätzliche Dienstleistungen "on top" bereitstellen, d.h. Konto- bzw. Depotführung und Mehrwertdienstleistungen würden entkoppelt werden. Effektiv würde dadurch endlich wieder Bewegung in die innovationsscheue Bankenlandschaft kommen und die Rechte der Kunden würden erheblich gestärkt werden. Zudem würde das eigene Geld so auch programmierbar werden, Open Banking wäre also eingebaut, und niemand müsste mehr das schwerfällige Interface der eigenen Bank verwenden, da Benutzeroberfläche und Verwahrung getrennt würden. Und außerdem würden alle Kontoführungsgebühren auf einen Schlag der Vergangenheit angehören, da natürlich der Endkunde nicht mehr für die höchst ineffizienten Verwaltungsprozesse innerhalb der Bank zahlen müsste.
Wichtig ist, dass ich hier nicht den Digitalen Euro meine, der ja von der EZB schon in Planung ist. Auch die EZB selbst schreibt ja: "Der D€ wäre digitales Zentralbankgeld. Er wäre ein elektronisches Gegenstück und eine Ergänzung zum Bargeld. Somit würde den Menschen eine weitere Zahlungsmöglichkeit zur Verfügung stehen." Folglich hätte dies nichts mit der dem Buchgeld zugrunde liegenden Infrastruktur zu tun, und noch weniger mit Wertpapierdepots. Der Digitale Euro würde also in seiner derzeitigen Form am Grundproblem, dass mein Geld bei meiner Bank eingesperrt ist, nichts ändern. In dem Zusammenhang sei auch auf meine andere Debatte verwiesen, die sich mit der Relation Zentralbankgeld/Buchgeld beschäftigt.
Zusammenfassend soll es sich in dieser Debatte also um die Fragen drehen: Warum akzeptieren wir in einer digitalisierten Welt des 21. Jahrhunderts noch immer ein Finanzsystem, das strukturell auf den Limitierungen der 80er-Jahre basiert? Warum gehört unsere finanzielle Identität faktisch noch immer nicht uns selbst, sondern wird von wenigen zentralen Institutionen kontrolliert und verwaltet – oft mit bewusst gesetzten technischen Hürden, um Wettbewerb zu vermeiden? Es geht um nicht weniger als die digitale Souveränität des Einzelnen im Umgang mit seinem Geld: Sollten Bürgerinnen und Bürger nicht das Recht und die Möglichkeit haben, frei über ihre Finanzdaten zu verfügen, unabhängig von einzelnen Bankensystemen, IT-Dienstleistern oder Lizenzgebührenmodellen?
Sollte der gesamte Staatshaushalt transparent werden?
Kurz zur Terminologie: Als "Staat" bezeichne ich im folgenden jegliche Institutionen, die entweder demokratisch legitimiert sind (bspw. Bund, Länder, Kommunen), also alle Ämter, oder die aufgrund eines Gesetzes existieren (d.h. Anstalten öffentlichen Rechts, gesetzliche Versicherungen, der öffentlich-rechtliche Rundfunk usw.). Als Gegenstück dazu verwende ich den Begriff "Markt", womit ich alle sonstigen Teilnehmer der Privatwirtschaft meine, d.h. Privatpersonen und juristische Personen (egal ob gemeinnützig laut § 52 AO oder nicht).
Modellhaft kann man sich den Staat ja als große "Geldverteilungsmaschine" vorstellen: Auf der einen Seite kommen Steuergelder und verwandte Einnahmen des Staates rein – zum Beispiel Einkommensteuer, Körperschaftssteuer, Sozialabgaben –, dann gibt es eine Vielzahl von Entscheidungsprozessen, die unter anderem im jährlichen Bundeshaushaltsgesetz, den Landeshaushaltsgesetzen und kommunalen Haushalten enden, und schließlich wird dieses Geld wieder ausgezahlt. Das Geld kommt also aus dem Markt und geht am Ende wieder in den Markt zurück.
Doch derzeit ist alles dazwischen eine ziemliche Blackbox, was ja auch historisch so gewachsen ist. Sobald ein gezahlter Euro an Steuergeldern vom Finanzamt eingezogen wurde, durchläuft er also alle möglichen Stellen, die kaum nachverfolgbar sind. Das heißt auch, dass diese Geldflüsse nur sehr mittelbar überhaupt demokratisch legitimiert sind, da sich reguläre Politiker:innen selbstverständlich die Möglichkeit offen halten wollen, ihre "Geschäftspartner" selbst auszuwählen. Die hauptsächliche Konsequenz ist verschwenderischer Umgang mit Steuergeldern, wie ja der Bund der Steuerzahler jedes Jahr wieder feststellt, und dadurch stark schrumpfendes Vertrauen der Bevölkerung in die Demokratie.
In dieser Debatte soll es darum gehen, ob dieses System grundsätzlich reformiert werden soll.
Die Kernidee ist:
Es werden keinerlei persönliche Daten verarbeitet, d.h. die Grenzen dieses Systems sollen da liegen, wo Privatpersonen Steuergelder erhalten (bspw. durch Gehaltszahlungen an Beamte, Zahlungen an gesetzlich Versicherte usw.).
Auf der einen Seite, der "Einnahmen"-Seite, muss transparent erhoben werden, welche Stelle (bspw. einzelne Finanzämter und andere Ämter usw.) wie viel beisteuert.
In der Maschine drin, also im "Verarbeitungs"-Schritt, muss jede Transaktion von einer staatlichen Stelle zur nächsten sauber dokumentiert werden.
Auf der "Ausgaben"-Seite gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder das Geld wird an eine Privatperson ausgezahlt oder an eine juristische Person. Erstere werden stets anonymisiert, aber letztere müssten ebenfalls öffentlich bekannt werden. So wäre sichergestellt, dass alle Zahlungen an die Privatwirtschaft eindeutig nachvollziehbar sind.
Es ist offensichtlich, dass mit dem derzeit höchst inflexiblen Bankensystem, wo das Geld noch in den Uralt-Systemen der Banken gefangen ist, so etwas nicht machbar wäre. Die Grundvoraussetzung zur Umsetzung dieses transparenten Haushalts wäre also, Geld als moderne, bankunabhängige Infrastruktur neu zu begreifen, siehe meine andere Debatte Sollten Konten und Depots öffentliche Infrastruktur werden?. Technisch gesehen ist also nicht Sinn der Sache, diese Transparenz durch gesetzliche Meldepflichten und damit noch mehr Bürokratie zu erzwingen, sondern dass sie in das Geldsystem selbst eingebaut wäre und vollautomatisch erfolgen würde.
Wenn man noch einen Schritt weiter geht, könnte man die auf diesem freien Geldsystem aufbauende "Tracking-Software" für Geld auch von Grund auf als Open Source-Projekt entwerfen. Schließlich wäre so etwas ja auch für Unternehmen sehr hilfreich, damit diese intern einen perfekten Überblick über all ihre Geldflüsse erhalten würden, im Idealfall auch noch mit eingebauter Buchhaltung. Nur der Staat würde sich dann verpflichten, sein "Steuer-Dashboard" und insbesondere die Geldflüsse zwischen einzelnen staatlichen Stellen öffentlich zu machen, während alle anderen Organisationen, die dieselbe Software verwenden, ihre Daten natürlich wie gewohnt privat halten würden.
Die Intention wäre, so eine strukturelle Transparenzrevolution einzuleiten, die demokratische Kontrolle über Staatsausgaben massiv stärkt, ohne zusätzliche Bürokratie zu schaffen. Der Staat würde durch diese öffentliche Nachvollziehbarkeit gezwungen, seine Entscheidungen nachvollziehbar zu begründen – nicht nur gegenüber Parlamenten, sondern gegenüber der gesamten Öffentlichkeit. Das könnte langfristig zu einer neuen politischen Kultur führen: weg von Intransparenz, Lobbyeinfluss und Klientelpolitik, hin zu faktenbasierter und überprüfbarer Ressourcenverteilung.
Der entscheidende Vorteil liegt also nicht nur in Effizienzgewinnen, sondern in der Wiederherstellung von Vertrauen: Wenn Bürger:innen nachvollziehen können, wie das Geld eingesetzt wird, das sie dem Staat anvertrauen, wird auch ihre Bereitschaft steigen, sich an diesem Gemeinwesen aktiv zu beteiligen – ob politisch, zivilgesellschaftlich oder schlicht durch die Akzeptanz staatlicher Entscheidungen. Kurz: Die Transparenz des Geldes könnte zur Transparenz der Demokratie selbst werden.