Töten als Routine
Innerhalb der letzten etwa 2 Jahre hat mich folgende Gedankensequenz lange beschäftigt:
1. Erkenntnis, dass Lebensfreude der einzig sinnvolle Sinn des Lebens ist
2. Wissen, dass Töten die Lebensfreude verringert
3. Verwirrung darüber, warum Menschen überzeugt und mit Inbrunst töten
Insbesondere ist der letzte Punkt auf die Zeit des Nationalsozialismus bezogen, die auf mich, als norddeutscher Bauernsohn, ein besonders wichtiges Thema ist. Der Grund dafür ist, dass Bauernhöfe (und insbesondere solche Höfe, die damals "Erbhöfe" genannt wurden) und die Landwirte im Nationalsozialismus regelrecht verehrt waren.
Wenn man sich mit dem Nationalsozialismus beschäftigt, kommt man nicht umhin, sich auch einerseits mit dem Teil der Psychologie zu beschäftigen, in dem es sich um tiefe Kindheitstraumata dreht und andererseits mit dem Teil, der die Folgsamkeit, das Vergöttern erforscht.
Nachdem Nietzsche Gott tot gesagt hatte, suchen sich die Menschen alternative Gotteskonzepte. Ob dies ein anderer Mensch, ein Buch oder der eigene Kontostand ist, ist dabei ziemlich unerheblich. Manche davon sind langfristig gesünder, manche weniger gesund; die meisten wollen Freund und Feind strikt trennen, doch einige wollen auch ehrlich vereinen.
Die, die Freund und Feind strikt trennen, sind sowohl in ihrer Güte als auch in ihrer Brutalität nach oben hin unbegrenzt. Es kommt lediglich darauf an, was für eine Welt ein Kind ab der Geburt erlebt: Ist diese Welt kalt, freudlos, fern? Oder ist sie kuschlig und ermutigend? Dieselben Worte können, abhängig von der kultivierten grundsätzlichen Denkeinstellung (d.h. entweder "Vergänglichkeit ist endlos" oder "Wachstum ist endlos"), völlig gegenteilig interpretiert werden. Mit anderen Worten: Der Mensch gewöhnt sich an (fast) alles.
Was ich bislang entdeckt habe: Wahrhaftige Gräueltaten zu begehen ist zum Zeitpunkt der Tat nicht dopamin-getrieben, sondern entspannte und oft lustvolle Routine. Das ist genau die Essenz der Buchstaben "D" und "S" im BDSM: Leid wird entweder Lust oder Dissoziation.
Das ursprüngliche Rätsel ist gelöst: Wenn jemand routiniert tötet, ist dies nicht die Schuld dieser Person, sondern die Schuld des durch Konventionen und Gesetze geformten Systems, das perfekt mit der von manchen Menschen tief verinnerlichten Blutrunst einerseits oder dem Hang zu folgsamer Passivität andererseits harmoniert. Karl Popper nannte dies in "Psychologie der Weltanschauungen" "aktive Einstellung" und "kontemplative Einstellung".
Eine überaus detaillierte Beschreibung der menschlichen Hintergründe des Tötens selbst gibt übrigens auch das Buch "An Intimate History of Killing" von Joanna Bourke.