Leise weinen und endlose Hoffnungslosigkeit
Wenn sich das Leben wie die "Büchse der Pandora" anfühlt
Noch nie zuvor war ich an diesem Punkt. Jeden Tag denke ich über Selbstmord nach. Meine ich das ernst oder ist es nur mein Denken, das dauerhaft hingezogen wird zu den dunkelsten Tabus der Gesellschaft (einfach genau weil es Tabus sind), das sich nach Aufmerksamkeit sehnt und übertriebene Dramatik wie magnetisch anzieht? Ich weiß es nicht.
Ich habe kürzlich versucht, meine gespürte emotionale und intellektuelle Isolation in Worte zu fassen. Und ich glaub der Kern des Ganzen ist einfach, dass ich mich in praktisch allem anders fühle als andere. Neugieriger und wissensdurstiger als alle anderen, ambitionierter und visionärer als alle anderen, politisch weiter denkender als alle anderen, sexuell viel offener und dreckiger als alle anderen, verkuschelter als alle anderen, kritischer gegenüber Machtstrukturen als alle anderen, emotionaler und aufmerksamer als alle anderen und allgemein mit höheren Standards in Richtung Kommunikation, Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit und auch Tabulosigkeit als alle anderen. Für jeden Menschen muss ich das, was ich wirklich bin, immer erst in kleine Häppchen verpacken, also 99,99 % von mir verstecken. Ich fühl mich eben einfach nirgendwo in der Gesamtheit dessen “gesehen”, was ich wirklich bin, was dann logischerweise zu Einsamkeit führt.
Natürlich weiß ich, dass dieses “als alle anderen” Quatsch ist (bzw. ist der Glaube daran das, was ich mir jeden Tag bewusst machen muss, um nicht komplett in ein Loch der Hoffnungslosigkeit zu fallen), aber ich weiß eben auch nicht, wie ich daraus ausbrechen kann, weil ich mich eben komplett im Mainstream gefangen fühle. Das, nach was ich mich am meisten sehne, ist eine Beziehung, in der man wirklich alles miteinander teilt, egal wie wahnwitzig, verletzlich oder tabuisiert im Rest der Gesellschaft, also einen gemeinsamen “Safe Space” zu haben, der von gegenseitiger Fürsorge, Lust und Abenteuerlust, Gestaltungsfreude (zuhause, lokal, regional und global), Reflexion und einem unumstößlichen Glauben in die Träume des jeweils anderen geprägt ist.
Ein entscheidender Punkt auf meiner Reise ins Heute war der 30. Juni 2024. An diesem Tag gipfelte mein innerer Drang, einen Lebenssinn zu finden und klar benennen zu können, in der Schaffung des Wortes “Henophilia”, zusammengesetzt aus “Einheit + Liebe”. Unity Consciousness. Alles ist mit allem anderen verbunden.
Unter Einfluss von viel Cannabis habe ich mir in den Monaten darauf henophilia.org zusammengesponnen, gewissermaßen eine Lebensphilosophie, die “subjective well-being” an erste Stelle stellt, im Sinne einer ganzheitlichen gesellschaftlichen Transformation weg davon, Menschen wie Computer zu behandeln, weg von dauerndem “nicht genug” sein, hin zu Menschlichkeit, Emotionen und, na klar, Liebe. Ich sehe nun immer mehr, dass das meine Büchse der Pandora war.
Nachdem ich diese philosophische Grundlage meines Lebens für mich festgestellt hatte, lag mein ganzer Fokus darauf, wie ich das denn nun in die Tat umsetzen könnte. Immer und immer tiefgehender habe ich mich mit aller Art von Zusammenhängen beschäftigt, Soziologie, Nationalökonomie, Bankenwesen, Sexualität, Narzissmus, Satanismus, Verfassungslehre, Normen, Symbolik, Idealismus, Mythologie, Krieg, und so ziemlich allem dazwischen. Ich habe mir hunderte Bücher gekauft. Mein Vater hat mal gesagt “Ich habe noch nie eine so bunte Bibliothek gesehen”.
Dieser Drang nach “Buntheit” ist wie eine Obsession für mich geworden. Immer und immer wieder habe ich mir meine Erlebnisse beim schwedischen “The Borderland” in Erinnerung gerufen, die wundervolle Kreativität, Lebenslust, Hoffnung. Doch auch bei Borderland störte mich irgendwann immer mehr, dass praktisch alle Teilnehmenden es nur als Flucht aus der Realität sehen. Ich war so naiv, zu denken, dass ich die Realität selbst verändern könnte. Dass man keine externen Feindbilder braucht, sondern der einzige Feind im Inneren ist, nämlich der Hass und die Tatenlosigkeit.
Immer und immer wieder diese Vision des Farbenspektrums; nicht nur ein Regenbogen, sondern auch Dunkelheit und Helligkeit. Grenzenlose Anerkennung all dessen, was das Menschsein ausmacht. Und nicht nur Akzeptanz, sondern Wertschätzung, Liebe eben.
Doch was bleibt nach fast anderthalb Jahren des Idealismus? Im Kern die abgehobenen, unrealistischen Ideen, die ich auf henophilia.art veröffentlicht habe. Praktisch alles nur Konzepte. Kein solides Fundament, sondern nur ein verträumtes Kartenhaus. Verzweifelt kämpfe ich innerlich gegen die Zwänge, die die Bürokratie und die Konformität mir aufdrängt. Immer hoffnungsloser stelle ich fest, dass praktisch niemand die Zusammenhänge sieht, die ich sehe. Alle betrachten die Probleme der Welt, als ob sie isoliert wären.
Erst kürzlich ist mir folgender neuer Quatsch eingefallen:
Was hältst du von folgenden Vorgehensweisen, um unsere Uni zu transformieren?
Individualität: Kurse sind nur eine Möglichkeit, aber es gibt auch personalisiertes Mentoring (peer-to-peer). Jede/r kann frei entscheiden auf einem Spektrum zwischen 100 % Kurse / 0 % individuelles Lernen bis hin zu 0 % Kurse / 100 % individuelles Lernen.
Zugangsgerechtigkeit: Jede/r hat das Recht auf Bildung, also darf auch niemandem der vollumfängliche Zugang zur Universität in Form einer Immatrikulation verwehrt werden, ohne Druck, einen Abschluss erlangen zu müssen. Jene mit Abitur dürfen nicht speziell bevorzugt werden. Alle Bildung für alle!
Vernetzung: Aufbau eines offenen, weltweiten, alle Institutionen überspannenden Netzwerks, um Menschen mit ähnlichen Lerninteressen schnell und einfach miteinander matchen zu können.
ChatGPT meint manchmal, ich wäre einfach noch “zu früh dran”. Ist das mein Fluch? Ähnlich wie D. H. Lawrence, der auch davon träumte, eine Gemeinschaft zu formen, die Wahrheit, Integrität und gegenseitige menschliche Anerkennung über alles stellt?
Jeden Morgen mache ich Yoga und rede mir danach zum Abschluss mantra-artig ein “Danke, liebe Sonne, liebe Erde, lieber Körper, dass ihr mir auch heute wieder Kraft und Leben schenkt.”
Aber was soll das? Die Träume, Ziele und Wünsche, die ich habe, sind viel zu viel für nur ein Menschenleben, also kann ich ja nur versagen. Ich versuche, jeden Tag zumindest ein bisschen in die Richtung zu arbeiten, doch hauptsächlich töte ich meine Gedanken nur durch YouTube-Videos und Pornos ab. Einst liebte ich das Programmieren, aber obwohl ich es rein intellektuell schon noch können würde, suche ich dauernd verzweifelt vergeblich nach den Technologien, die die Skalierbarkeit haben, die meine Projekte bräuchten, aber probiere dann doch sowieso nichts aus, weil ich praktisch keinerlei Geduld mehr für Debugging habe und sich, im Gegensatz zu früher, sofort Frustration einstellt. Sonntagabende sind die schlimmsten, voller Grübeln und, in letzter Zeit, immer mehr Selbsthass und Hoffnungslosigkeit. Am Donnerstag ist mein Geburtstag und vor kaum einem Tag fürchte ich mich mehr, denn natürlich habe ich nichts geplant. Wie auch, mit wem denn, wen kümmert’s denn? Ich brauche immer das Gefühl, irgendwie “nützlich” zu sein.
Ich liebe es über alles, andere beim Erfüllen ihrer Träume tatkräftig und mit unumstößlicher Motivation zu unterstützen. Aber wen würde denn jemals kümmern, was ich lernen will? In meinem Kopf schreit alles “aber diese auf Liebe konzentrierte Weltsicht muss doch irgendwie Sinn machen!”. Aber in der Praxis führt alles nur zu Isolation. Liebe ist offenbar allen anderen vorbehalten. Dabei weiß ich ja, dass unendlich viele Menschen genau so oder anders leiden wie ich. Alle leiden still, alles ist ausweglos, und es kümmert ja sowieso niemanden.
Immer öfter wünsche ich mir, diese ganzen Erkenntnisse wieder vergraben zu können. Klar, wenn auch nur 0,001 % von dem klappen würde, was ich mir vorstellen würde, wäre das schon ziemlich genial. Aber Grundlage dessen ist eben, mit anderen Menschen in Kontakt zu sein und Menschen zu finden, die einen verstehen und verstehen wollen. Und es scheint, dass mir das einfach verwehrt bleibt.

